Von Jan Mahnert, freier Journalist, Bern
Kennen sie BaM? Damit meine ich nicht die US-amerikanische TV-Persönlichkeit Bam Margera, sondern das Forschungsprojekt «Becoming a Minority» (Zu einer Minderheit werden). Dieses vom Europäischen Forschungsrat finanzierte Projekt befasst sich, laut eigener Webseite (BaMproject.eu), «mit dem Leben von Menschen ohne Migrationshintergrund, die in ethnisch vielfältigen Stadtvierteln leben, in denen mittlerweile alle Einwohner einer Minderheit angehören. In einer Stadt wie Amsterdam hat heute nur jeder dritte Jugendliche unter fünfzehn Jahren zwei in den Niederlanden geborene Eltern. Diese Situation, in der jeder zu einer Minderheit gehört, wird als Mehrheits-Minderheit-Kontext bezeichnet. Diese Situation wird in vielen Stadtteilen grosser westeuropäischer Städte immer häufiger.»
Hier wird im Dunst des Fachjargons mitgeteilt, dass in zahlreichen Städten die Einheimischen zunehmend in der Minderheit sind. Der Webseite des Projekts ist zu entnehmen, dass 46% der Bevölkerung von Malmö (Schweden) keinen Migrationshintergrund hat. In Antwerpen (Belgien) haben 33% der unter 19-Jährigen keinen Migrationshintergrund. Im Klartext: In beiden Städten sind die Einheimischen bereits zu einer Minderheit geworden.
Ausgangspunkt der Untersuchung war die Frage danach, wie sich eine Mehrheitsgesellschaft fühlt, wenn sie keine mehr ist. Diese Frage beschäftigt schon lange Maurice Crul, Professor für Soziologie an der VU Universität Amsterdam und Inhaber des Lehrstuhls für Bildung und Diversität, der das Projekt «Becoming a Minority» leitet. Um Antworten darauf zu erhalten, befragten Crul und Kolleginnen mehr als 3.000 «Menschen ohne Migrationshintergrund» im Alter zwischen 25 und 45 Jahren aus fünf Ländern (Niederlande, Belgien, Deutschland, Österreich und Schweden) zu ihren Einstellungen gegenüber Einwanderung und Vielfalt. Die Befragten wurden spezifisch ausgewählt, «weil sie in einem der fünf Länder geboren sind und beide Elternteile ebenfalls in diesem Land geboren sind».
Die Umfrage will herausfinden, wie Menschen in den betroffenen Stadtteilen miteinander interagieren: «Wohin schicken sie ihre Kinder zur Schule? Erleben sie Konflikte und wenn ja, worum geht es dabei? Was schätzen die Menschen an den Nachbarschaften? Mit wem interagieren sie auf der Strasse, auf dem Spielplatz und mit wem unterhalten sie sich bei einem Kaffee in den örtlichen Bars?» Es geht darum zu verstehen, «was Städte zu einem guten Wohnort macht. Es wird erforscht, unter welchen Bedingungen Menschen auf eine positive Art und Weise miteinander interagieren und andererseits, wann Konflikte wahrscheinlicher sind und was man gegen diese unternehmen kann».
Als ich von «Becoming a Minority» erfuhr, war meine erste Reaktion ein müdes Kopfschütteln. Wer die Fakten nennt und sagt, dass in vielen europäischen Ländern infolge der Masseinwanderung ein Bevölkerungsaustausch stattfindet, wird in der Regel als rechtsextremer Verschwörungstheoretiker gebrandmarkt. Und nun gibt es ein von der EU finanziertes Forschungsprojekt, das diesen Austausch bestätigt. Vielleicht wird offener darüber berichtet, weil der Austausch als nicht mehr umkehrbar angesehen wird. Jahrzehntelang wurde (selbst-)zensiert, diffamiert und eingeschüchtert, um das Ausmass der Umwälzungen zu verschleiern. Wer weniger Einwanderung verlangte, wurde – und wird noch – oftmals als «Rechtsextremer» oder als «Nazi» beschimpft.
Meine zweite Reaktion betraf die Methodologie der Studie: Warum wurde die Umfrage nur in fünf Ländern und sechs Grossstädten durchgeführt? Warum wurden Länder wie Italien, Griechenland, Frankreich und Grossbritannien, die stark unter den Folgen der Masseneinwanderung ächzen, nicht berücksichtigt? Zudem ist man berechtigt zu fragen,
wie vertrauenswürdig die Ergebnisse der Umfrage sind. Im Rahmen eines Interviews, das von der ZEIT ONLINE in ihrer Serie «Die neue Stadt» veröffentlicht wurde, beantwortete Maurice Crul diese Frage indirekt: «Die meisten Menschen ohne Migrationshintergrund […] empfanden kulturelle Vielfalt als bereichernd. Gleichzeitig zeigte sich, dass sie kaum Freunde mit Migrationshintergrund hatten. Interessanterweise war diese Tendenz in keiner Stadt so ausgeprägt wie in Hamburg. Es gab dort zwar mehr Menschen, die Vielfalt als Bereicherung empfanden, und die auch positiver über den Islam dachten. Der Anteil von interethnischen Freundschaften und Partnerschaften war jedoch so gering wie in keiner anderen Stadt, die wir untersucht haben.»
Crul erklärte dieses Verhalten mit der «Tendenz der sozialen Erwünschtheit»: Menschen geben in Studien Antworten, die gesellschaftlich erwünscht sind. Dieser Effekt sei in Deutschland aufgrund des Zweiten Weltkriegs stärker als in anderen Ländern. Doch es gibt ihn eben in vielen Ländern. So schrieb am 5. Februar 2023 die Berner Zeitung, dass auch in der Schweiz viele Menschen das Gefühl hätten, sich nicht mehr frei äussern zu dürfen. Der Fall von Hamburg ist insofern bemerkenswert, als Hamburg eine rot-grüne Stadt ist. Viele Menschen scheinen dort ethnische Vielfalt toll zu finden, die Wenigsten aber wollen sie in ihrer Nähe. Crul bestätigt diese Sicht: «In Hamburg gibt es aber, besonders bei Menschen mit Hochschulabschluss, ein Phänomen namens white flight. Viele ziehen an den Stadtrand, wo sie unter sich sind. Oder sie bleiben in den Einwanderervierteln, schicken ihre Kinder aber nicht dort zur Schule, sondern in Vierteln mit weniger Einwandererkindern.»
Die ZEIT ONLINE sprach Maurice Crul auf das Thema des Bevölkerungsaustausches an: «Rechtsextreme erzählen ständig, dass Weisse in Europa und den Vereinigten Staaten in die Minderheit geraten. Sie sagen: Statistisch geschieht genau das?» Crul bezieht sich in seiner Antwort auf das Buch The Great Demographic Illusion des US-Soziologen Richard Alba. Dieser meint, die weissen Amerikaner werden nicht zu einer numerischen Minderheit, denn der Kreis der Menschen, die als weiss gelten, wird immer weiter: «So wie im frühen 20. Jahrhundert Italiener oder russische Juden mit der Zeit als weiss angesehen wurden, wird das heute mit gemeinsamen Kindern von Hispanics und Weissen, oder mit asiatischen Amerikanern passieren: Sie werden irgendwann weiss.» Mit anderen Worten: Die Umschichtung der Bevölkerung soll mit statistischen Tricks weniger sichtbar gemacht werden.
Doch die Menschen haben Augen. Crul räumt dies auch ein: «Es gibt solche statistischen Überlegungen und es gibt die Wahrnehmung der Leute. Es mag sein, dass sich die Kinder asiatischer Einwanderer irgendwann als Weisse begreifen werden. Ein Trump-Wähler wird das vermutlich nicht so sehen. Wenn Sie als Deutscher ohne Migrationshintergrund in einem Viertel in Hamburg oder Berlin in den Bus steigen oder shoppen gehen und sich Ihre Nachbarn angucken, dann haben Sie das Gefühl, zur Minderheit zu werden. Das ist die Realität in vielen Grossstädten.»
Deshalb, so Crul, sei es wichtig, «die Auseinandersetzung mit dieser Realität nicht nur den Rechtspopulisten zu überlassen. Sonst haben wir nur deren Narrativ: Die Unterschiede sind zu gross. Alle hassen sich. Das endet im Bürgerkrieg.» Crul kontert: «Hassen sich alle? Gibt es Bürgerkrieg? Nicht nach unseren Erkenntnissen.» Auch hier sind die Erkenntnisse der Untersuchung kritisch zu hinterfragen. Dass es keinen offenen Bürgerkrieg gibt, bedeutet noch längst nicht, dass alles Friede, Freude, Eierkuchen sei. Gemäss Aargauer Zeitung vom 11. Juni 2023 gab es dieses Jahr in Schweden bereits 144 Schiessereien zwischen Gangs mit Migrationshintergrund, mit 18 Todesopfern; das Jahr 2022 war mit 388 Angriffen und 61 Toten Europarekord. In Frankreich entluden sich unlängst die interethnischen Spannungen in einer Orgie von Gewalt und Plünderungen bisher unerreichten Ausmasses, nachdem ein junger Nordafrikaner bei einer Kontrolle von einem Polizisten erschossen wurde. Die Liste der Probleme liesse sich beliebig lange fortsetzen.
Es stellt sich generell die Frage, wie sachlich Studien zum Thema Einwanderung und Multikulturalismus sind. In der deutschen Zeitschrift FOCUS (21/2023) erklärte der Soziologie Ruud Koopmans, es sei von Vorteil, sich als Migrationsforscher nicht mit den Schattenseiten der Einwanderung zu beschäftigen: «Ich haben eine feste Stelle, ich bin abgesichert. Aber ich sorge mich um den akademischen Nachwuchs. Wer in dieser Disziplin Karriere machen will, tut gut nicht anzuecken. […] In allen Stadien der wissenschaftlichen Karriere ist es als Migrationsforscher von Vorteil, nicht gegen den Strom zu schwimmen. Es ist leichter, ein Stipendium zu bekommen, es ist einfacher, Geld für ein Forschungsprojekt zu sammeln oder Beiträge in den Journals zu veröffentlichen. Alles läuft geschmeidiger.»